Unser Interviewpartner Herr Dr. med. M. Grothe ist als Oberarzt in der MS-Ambulanz an der Universitätsmedizin Greifswald tätigt. Seit kurzer Zeit setzt er digitale Befragungen in seine Ambulanz ein. Über seine Erfahrungen mit der Einführung und Nutzung der digitalen Befragung berichtete er im nachfolgenden Interview.
ZTM: Warum haben Sie sich für eine digitale Patientenbefragung entschieden? Wie setzen Sie diese in Ihrer Ambulanz ein?
Herr Dr. Grothe: Ich habe mich für den Einsatz der digitalen Befragung entschieden, weil ich glaube, dass wir zum einen ein recht junges Patienten-Klientel haben, welches sehr technik- und digitalaffin ist. Zum anderen, kann man damit teilweise Prozesse optimieren. Es lassen sich redundante Fragen reduzieren, die quasi immer wieder ähnlich und gleich an den Patienten gestellt werden, in der alltäglichen Routine bei der Anmeldung, während der Aufnahme und auchim Arzt-Patienten-Gespräch. Mit der digitalen Befragung sind die Fragen einmal gebündelt. Damit kann ich besser vorbereitet in das Gespräch gehen, weil ich durch die strukturierten Antworten schon einen gewissen Wissenstand habe, bei dem ich starten kann und die Patienten effektiver befragen kann, was mich eigentlich interessiert.
ZTM: Erfahrungsgemäß ist es immer schwierig, neue Prozesse in einen gut funktionierenden Praxisalltag einzuführen. Wie ist die digitale Befragung in Ihrer Ambulanz angelaufen?
Herr Dr. Grothe: Es war eigentlich sehr unproblematisch. Die Patienten sind es ja sehr gewohnt, solche Geräte heutzutage zu nutzen. Das Setting digitaler Befragungen ist sehr einfach, jeder konnte damit direkt umgehen. Die Patienten brauchen keine große Einführung durch die beteiligten Mitarbeiter vor der Sprechstunde. Es ist selbsterklärend, sich durch die Fragebögen zu klicken. Es war tatsächlich unproblematischer als ich eigentlich gedacht habe und die Integration in unseren Alltagsprozess verlief besser als ich erwarten konnte.
ZTM: Wie gut kommen die Patienten/innen mit der digitalen Befragung zurecht? Welche Auswirkungen sehen Sie in Bezug auf Patienten?
Herr Dr. Grothe: Wie schon gesagt, recht unkompliziert. Es war sogar so, dass uns die Patienten bei der Einweisung signalisiert haben „Sie müssen mir nicht erklären, wie ein Tablet funktioniert". Der Prozess ist dann so abgelaufen, wie ich eigentlich erwartet habe. Wenn ich von einem Patienten die Akte ins Sprechzimmer nehme, dann sehe ich auch schon seine digital ausgefüllten Fragebögen und ich kann prüfen, ob es eine Krankheitsaktivität gab und direkt im Gespräch darauf eingehen.
ZTM: Wie hat sich der Arbeitsalltag durch Verwendung der digitalen Befragung verändert? Welche Auswirkungen sehen Sie in Bezug auf Medizinpersonal?
Herr Dr. Grothe: Wie oben z. T. schon erwähnt, besser als gedacht. Für uns war unklar, wie aufwändig diese technische Umstellung und Nutzung ist und ob diese die Mitarbeiter nicht vor zu große Herausforderungen stellt. Das war anfangs so ein Faktor, aber bei den Mitarbeitern kam es dann sehr gut an. Die Zuordnung der Fragebögen zu den Patienten ist ein einfacher Prozes - Man muss sagen, alles verlief wirklich ohne Komplikation.
ZTM: Sehen Sie einen Einfluss der Corona-Krise auf die Verwendung digitaler Patientenbefragungen?
Herr Dr. Grothe: Direkt so wie die Sprechstunde bei uns momentan konzipiert ist, eigentlich noch nicht. Momentan kommen Patienten zu uns mit einem vereinbarten Termin vorbei. Anders gesagt, der Einfluss durch die Corona-Pandemie auf die Nutzung digitaler Befragung ist aktuell nicht so groß. Zumal ist der physische Kontakt zwischen Ärzten und Patienten in der Behandlung immer der Goldstandard. Aber wenn dieser Kontakt durch äußere Gegebenheiten nicht erlaubt oder nur eingeschränkt möglich ist, wie z. B. während der Coronakrise, dann können einige solche Termine durch eine Videosprechstunde in Verbindung mit der digitalen Befragung ersetzt werden. Dadurch können Patienten dennoch die Sprechstunde wahrnehmen und uns relevante Informationen kurz und effektiv vermitteln.
ZTM: Wie sehen Sie die Zukunft der digitalen Patientenbefragung? Glauben Sie, dass deren Bedeutung im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung im Gesundheitswesen steigt - wenn ja, warum?
Herr Dr. Grothe: Die Corona-Krise bringt einen großen Push für Digitalisierung in Deutschland. Insbesondere in einer strukturschwachen Region kann man mit Digitalisierung die Entfernung zwischen Krankenhäusern und dem Zuhause der Patienten überbrücken. Durch eine digitale Befragung lässt sich ihr Gesundheitszustand zuerst grob einschätzen. Damit könnten wir für einige Patienten extrem lange Anfahrtswege vermeiden. Falls sich die Notwendigkeit eines direkten Arzt-Patientenkontaktes ergibt, folgt dann der Termin in der Sprechstunde. Generell gestaltet so die digitale Befragung die Prozesse effektiver.
Eine noch viel größere Rolle in der Zukunft könnte die digitale Befragung bei der Erhebung von Patientendaten außerhalb des eigentlichen Vorstellungstermins spielen. Wenn der Patient beispielweise eine Medikamentennebenwirkung wahrnimmt oder sich besonders müde fühlt, hat er so die Möglichkeit, direkt Daten zu erfassen und uns mitzuteilen, losgelöst vom eigentlichen Termin. Dadurch kann er seinen Gesundheitsverlauf kontinuierlich dokumentieren, ich kann diesen dann prüfen und bei Bedarf nötige Schritte und Maßnahmen, ggf. sogar aus der Ferne, einleiten.
ZTM: Herr Dr. Grothe, vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und das spannende Gespräch.